Dienstag, 7. Oktober 2008

Bericht WM

Freitag Morgen, 05:00h. Renato bringt mich zum Flughafen nach Kloten, von wo aus unsere Reise nach Santa Susanna startet. Im Gegensatz zu den letzen Wochen vor dem Wettkampf bin ich nun überhaupt nicht mehr nervös. Ich weiss, dass ich mich wie bereits in den Wochen zuvor voll und ganz auf die Unterstützung von Dagi und Reto verlassen kann und mir um nichts Sorgen zu machen brauche. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die beiden. Es ist alles andere als selbstverständlich, wie sehr sich Dagi und Reto für uns Athleten einsetzen. Ohne ihr aufopferndes und unermüdliches Engagement wären wohl viele der unzähligen internationalen Erfolge des CH Nati-Teams in der Vergangenheit nicht möglich gewesen.

Nach guten neuen Stunden Reise (wir hatten keinen Direktflug nach Spanien) haben wir das schöne Santa Susanna mit seinem langen weissen Sandstrand endlich erreicht. Etwas beunruhigt mache ich Reto auf meine von der Reise aufgeschwollenen Hände und Beine aufmerksam. Dieser nimmt es aber gelassen, so dass auch ich mir keine Gedanken mehr darüber mache. Ich kenne keinen zweiten Menschen, der ähnlich viel Erfahrung und Wissen im Bereich unseres Sports mitbringt wie Reto. In den Formkontrollen konnte ich manchmal nur staunen, was er mit einem Blick alles feststellen kann:-) Ich vertraue ihm zu 100% und weiss, dass ich mich bloss an seine Anweisungen halten muss um morgen mit einer guten Form auf der Bühne zu stehen. Und tatsächlich, als ich am Abend für die Abwage in mein Bikini schlüpfe sind die Spuren der Reise praktisch verschwunden.

Die Abwage findet in einer grossen Lokalität am Strand statt. Es ist eng und beim Anblick der vielen Leute und dem Gedanken, dass nun 176 Athletinnen und Athleten gewogen und gemessen werden müssen, mache ich mir Sorgen, den Abend hier verbringen zu müssen. Aber zu meinem Erstaunen geht es trotz nur einer Wage sehr schnell. Das Wiegen erfolgt klassenweise. Ein freundlicher Herr im Anzug gibt uns Anweisungen und mahnt uns nicht zu trödeln als ich mich mit einer netten Kanadierin, die auch in meiner Klasse startet, schwatze. Mein Gewicht ist mit 53,35 kg ok (ich starte im Leichtgewicht, darf also maximal 55 kg schwer sein) und bereits kurze Zeit später liege ich im Bett unseres Hotels um mich noch etwas beim Fernsehen zu entspannen. Obwohl die WM am kommenden Tag mein allererster Bodybuilding-Wettkampf sein wird, bin ich nicht nervös. Hier kommt mir sehrwahrscheinlich die Wettkampferfahrung aus meinen Powerliftingzeiten zu gute. In den Jahren 2001 bis 2003 nahm ich sehr erfolgreich an grossen internationalen Powerlifting-Wettkämpfen teil. Übrigens auch da ohne vorgängig jemals einen nationalen Wettkampf bestritten zu haben. Dieses mal hätte ich zwar gerne im Vorfeld zur WM an einem nationalen Bodybuilding-Wettkampf vor heimischem Publikum teilgenommen. Im nachhinein muss ich aber sagen, dass die Entscheidung, mich voll auf die WM zu konzentrieren absolut richtig war. Ein internationaler Wettkampf bringt ganz andere Knackpunkte mit sich als ein nationaler und unterscheidet sich auch von der Organisation her erheblich. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hätte mich die vorgängige Teilnahme an einem nationalen Wettkampf mehr verwirrt als weitergebracht. Ausserdem wäre sie meinem von der viel zu langen Diät eh schon strapazierten Körper alles andere als zu Gute gekommen.

Es ist nun Samstag morgen 09:00h und wir fahren mit dem Bus zur Wettkampf-Halle. Zusammen mit Reto richten wir uns in der Garderobe ein. Urs ist als erster dran. Während er von Reto eingefärbt wird knabbern wir Frauen noch etwas verschlafen auf unseren Reiswaffeln. Als nächstes werde ich bereit gemacht und stehe kurze Zeit später im Aufwärmraum. Mir ist kalt. Zwei Fotografen bitten mich um einige Posen, was mir sehr gelegen kommt, da mir nun etwas wärmer wird. Da winkt auch schon wieder der freundliche Herr im Anzug mit dem Plakat mit der Aufschrift meiner Gewichtsklasse. Er weißt uns an, in der Reihenfolge unserer Startnummern in eine Reihe zu stehen. Ich mache noch ein paar Aufwärmsätze mit dem Gummiband, dann geht es aber auch schon im Gänsemarsch auf die grosse Wettkampfbühne. Zehn Kampfrichter/innen mustern uns kritisch und machen fleissig Notizen. Das Ganze dauert vielleicht Zehn Minuten und wir verlassen die Bühne wieder. Der Herr im Anzug folgt uns mit einer Liste und ruft uns eilig zusammen "Ladies, ladies, please...!". Auf der Liste stehen die Startnummern der 15 Athletinnen welche sich für den Semifinal qualifiziert haben. Er liesst die Nummern laut vor. Erleichtert stelle ich mich in die Reihe, als ich meine Startnummer 60 höre. Und ab geht es zurück auf die Bühne. Ich freue mich, bereits im zweiten Vergleich und danach noch weitere vier mal nach vorne gerufen zu werden. Einmal stehe ich direkt neben Jana Purdjakova, die ich schon so oft in Zeitschriften und im Internet bewundert habe und die an dieser WM ihren sechsten WM-Titel einheimste. Die Kampfrichter/innen lassen sich nun bedeutend mehr Zeit. 50 Minuten stehen wir auf der Bühne. Meine Beine brennen und ich spüre nicht mehr ob sie noch genügend angespannt sind. Ich bin froh, dass sich Reto ganz vorne im Zuschauerraum befindet und mir Anweisungen gibt. Diese versuche ich so gut wie möglich umzusetzen, aber insbesondere die Bauch-Bein-Pose will mir einfach nicht gelingen. Als wir die Bühne verlassen fühlen sich meine Beine wie aus Gummi an. Eilig ziehe ich meine Kleider über um den Auftritt von Alina und Rahel zu verfolgen. Den Rest des Tages verbringen wir gemütlich. Ich bespreche den Wettkampf mit Reto und er macht mich auf die Fehler in der Präsentation aufmerksam. Wir üben nochmals die Bauch-Bein-Pose und hoffen, dass es trotzdem noch für den Einzug ins Hauptfinale (Top 6) vom nächsten Tag gereicht hat.

Am Sonntag Morgen sind nun die Finals angesagt. Wieder geht es mit dem Bus zur Wettkampfhalle. Zusammen mit Dagi nehme ich an der Nations Parade teil. Pro Land marschieren ein/e Offizielle/er plus ein/e Athlet/in mit Landesfahne und einem Schild mit dem Namen des Landes in die Halle ein. Bei den 43 teilnehmenden Ländern dauert es allein schon eine Ewigkeit, bis alle Nationen mit den Utensilien ausgerüstet sind und in alphabetisch korrekter Folge eingereiht stehen. Nach dem Einmarsch in die Halle folgt eine endlose Reihe von Danksagungen und Ehrungen. Irgendeinmal habe wir es aber geschafft und verlassen die Bühne. Nun liegen die Listen mit den Namen der Finalteilnehmer/innen auf. Dagi kämpft sich vor um zu schauen ob ich dabei war. Ich halte mich zurück. Ohne Brille würde ich meinen Namen eh nicht erkennen. Als sie zurück kommt nimmt sie mich in die Arme "Du bis leider nicht dabei". Ich bin sehr enttäuscht, eine Leere macht sich in mir breit. Am Vorabend hatte ich immer wieder die Posen geübt, hatte mir überlegt was ich an der Präsentation verbessern wollte. Ich war mir so sicher, dass ich es heute besser machen konnte. Zudem bin ich heute nochmals einen Tick härter. Es macht mich sehr traurig, dass ich nun keine Gelegenheit mehr habe dies zu zeigen und ich ärgere mich nun noch mehr über die Fehler von gestern. Alina, Rahel und Urs haben es in den Final geschafft. Nachdem ich ein kleines Fotoshooting mit zwei Fotografen im nahen Park hinter mich gebracht habe, verfolge ich ihre Wettkämpfe. Die Freude ist riesig, als der erste Platz von Alina und der zweite von Rahel verkündet werden. Ich gönne es beiden Frauen von Herzen. Sie haben hart und lange für diese Erfolge gearbeitet und sich die Titel verdient. Anlässlich des Banketts am Abend wird natürlich noch richtig gefeiert. Obwohl mir eigentlich gar nicht so nach feiern zu Mute war, da ich über meine Leistung sehr enttäuscht bin, geniesse ich den Abend dennoch sehr und freue mich mit den anderen. Ich erfahre, dass ich den 7. Rang belegt und den Hauptfinal nur um haaresbreite verpasst habe.

Fazit: Natürlich bin ich immer noch enttäuscht, dass es nicht für den Hauptfinal gereicht hat. Jedoch war diese WM-Teilnahme für mich eine überaus positive Erfahrung. Ich habe das Gefühl, von diesem Wochenende unglaublich viel gelernt und profitiert zu haben. Zudem konnte ich mich ja bereits bei meinem ersten Wettkampf unter den Top 10 der Welt behaupten. Ich weiss, dass noch vieles möglich ist, insbesondere, weil ich künftig eng mit Reto zusammenarbeiten werde (diese Vorbereitung habe ich mehr oder weniger auf eigene Faust hinter mich gebracht). Ausserdem werde ich in Zukunft zusammen mit meinem Schatz Renato trainieren, was zusätzlichen Ansporn bringt. Mein nächstes grosses Ziel ist die WM 2009. Sofern mein Körper genügend erholt ist, werde ich aber bereits im Mai 2009 an der EM wieder auf der Bühne stehen. Ich weiss, dass in den nächsten Monaten viel und harte Arbeit auf mich wartet, bin aber hochmotiviert und sehr glücklich, diese Möglichkeiten zu haben.